Künstliche Intelligenz: Chinas Hightech-Ambitionen

China will bis 2030 führend im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) werden. Dieses Ziel steht in Zusammenhang mit Pekings Bestrebungen die Wirtschaft innovativer zu machen, das Militär zu modernisieren und global an Einfluss zu gewinnen. Noch haben die USA einen Vorsprung in KI. Chinas Ambitionen führen jedoch zu der Einschätzung, dass es bereits einen neuen Technologiewettlauf gibt.

von Christoph Elhardt
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Der Sieg des KI-Programms AlphaGo gegen einen der weltbesten Spieler des Brettspiels Go im März 2016 gilt bereits heute als Meilenstein in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz. Kim Hong-Ji / Reuters

Von Sophie-Charlotte Fischer

Das Kräfteverhältnis in der Entwicklung neuer Technologien verschiebt sich zunehmend Richtung Osten. Die einstige «Werkbank der Welt», China, wandelt sich zu einem ernstzunehmenden Wettbewerber in der Entwicklung künftiger Schlüsseltechnologien. Besonders im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) sorgen Chinas Ambitionen für Aufsehen. Das Reich der Mitte verringert laufend den Abstand zum bisherigen Marktführer USA und plant, bis 2030 das globale «Premier Innovation Center» zu werden.

Auch wenn das Potential von KI noch nicht gänzlich absehbar ist, wird es aufgrund der vielseitigen Anwendungen bereits als die «neue Elektrizität» gehandelt. KI wird voraussichtlich über Anwendungsbereiche hinweg die Effizienz und Präzision erhöhen und so massgeblich den gesellschaftlichen Wohlstand und die nationale Sicherheit steigern. Gleichzeitig stellen sich grundlegende Fragen. Die Umwälzung der Arbeitsmärkte, die schwindende Kontrolle des Menschen in kritischen Entscheidungsprozessen, die zunehmende gesellschaftliche Kontrolle derer, die KI entwickeln und einsetzen, sowie daraus resultierende Veränderungen im globalen Machtgefüge gehören zu den absehbaren und bisher nicht hinreichend erfassten Folgen von KI.

Auch andere Länder wie Kanada und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) haben KI bereits als eine entscheidende Zukunftstechnologie identifiziert. Dies spiegelt sich zum Beispiel in gezielter Industrieförderung und neu geschaffenen Strukturen, wie dem 2017 ernannten KI-Minister der VAE, wider. Momentan bilden jedoch die USA, dicht gefolgt von China, die globale Spitze in der Entwicklung von KI.

Chinas ehrgeiziger Vormarsch in KI erfordert daher ein vertieftes Verständnis der Innovationskapazitäten und Ambitionen des Landes. Glaubt man dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, wird das Land, welches KI beherrscht, zukünftig die Welt beherrschen.

Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen

Künstliche Intelligenz (KI) ist die Fähigkeit eines Systems, Aufgaben zu erfüllen, die normalerweise menschliche Intelligenz erfordern. Das Konzept ist häufig mit Systemen verbunden, die über als intelligent beurteilte Fähigkeiten wie Lernen, Planen und Generalisieren verfügen. Bisher gibt es keine einheitliche Definition für KI.

Es werden enge und generelle Varianten von KI unterschieden. Enge KI kann eine bestimmte Aufgabe, wie die Übersetzung einer Fremdsprache, bewältigen. Generelle KI würde über alle kognitiven Funktionen des Menschen verfügen und könnte verschiedenste Aufgaben lösen. Existierende KI-Anwendungen werden ausnahmslos als eng klassifiziert.

Verfahren des Maschinellen Lernens befähigen Systeme zu lernen ohne explizit programmiert zu werden. Auf der Basis von Algorithmen und riesigen Trainingsdatensätzen lernen Systeme Muster zu erkennen, die zuvor nicht definiert wurden. Das Gelernte kann dann auch auf neue Daten angewendet werden.

Von Imitation zu Innovation

Seit Beginn der Reformära im Jahr 1978 mit der Einführung der «Politik der offenen Tür» unter Deng Xiaoping hat sich China von einer abgeschotteten Agrarwirtschaft zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt entwickelt. Das imposante Wirtschaftswachstum basierte jedoch primär auf einem Überschuss an günstiger Arbeitskraft sowie auf dem Transfer und der Imitation von Technologien.

In ihrem «Made in China 2025»-Programm plant die chinesische Regierung bis 2049 eine innovative «Industriemacht» zu werden. «Made in China» soll nicht mehr für Imitation und billige Massenware stehen, sondern für Innovation und qualitativ hochwertige Produkte. Der aktuelle 13. Fünfjahresplan (2016 – 2020) ist ein weiteres Beispiel für die Priorisierung des Wandels zu einem «innovativen Staat» auf höchster Parteiebene.

Nicht nur wirtschaftlich ist diese Entwicklung entscheidend, sondern sie spielt auch bei der Modernisierung der Volksbefreiungsarmee (VBA) eine zentrale Rolle. Bei einer Veranstaltung mit Militärs 2017 betonte Präsident Xi Jinping, Wissenschaft und Innovation seien Schlüssel zu Chinas militärischer Aufwertung.

Um den Sprung zur innovationsgestützten Wirtschaft zu schaffen, hat China das Budget für Forschung und Entwicklung laufend erhöht. Es wird heute bezüglich der Ausgaben nur noch von den USA übertroffen. Die chinesische Regierung fördert ausserdem gezielt Hightech-Industrien wie Raumfahrt, Quantentechnologie und Robotik. Unternehmen und Investoren werden gleichzeitig durch die 1999 eingeführte «Go Out»-Strategie ermutigt, international zu expandieren und investieren.

Reformen haben den Aufbau von privaten Technologieunternehmen ermöglicht, die heute auf Augenhöhe mit führenden westlichen Firmen konkurrieren. Neben etablierten Unternehmen wie den Internet-Giganten Baidu, Alibaba und Tencent existiert in China eine dynamische Start- Up-Szene. Ein Drittel der sogenannten «Unicorns» ist bereits chinesisch. Dies sind aufstrebende Unternehmen, die mit über einer Milliarde USD dotiert sind. Nach wie vor besteht aber in verschiedenen Bereichen, etwa der Halbleiterindustrie, ein grosser Rückstand auf Länder wie die USA oder Japan. In anderen Sektoren wie der Telekommunikation oder dem ECommerce hingegen hat China bereits eine beeindruckende Innovationskraft erreicht. Die entscheidende Frage ist heute nicht mehr, ob China innovativ sein kann, sondern wie innovativ es hinsichtlich zukünftiger Schlüsseltechnologien sein wird.

Drei Schritte zur KI-Weltmacht

2016 besiegte das von Google DeepMind entwickelte Computerprogramm «Alpha Go» überraschend den professionellen Go-Spieler Lee Sedol in dem komplexen Brettspiel. Experten hatten zu diesem Zeitpunkt geschätzt, dass die Entwicklung eines Programms mit der Fähigkeit, Go zu meistern, noch Jahre entfernt sei. «Alpha Gos» Sieg über Lee Sedol gilt rückblickend als entscheidender Weckruf für die chinesische Führungsriege, KI zu einer nationalen Priorität zu erklären. Mit dem Next-Generation Artificial Intelligence Plan (KI-Plan) präsentierte der Staatsrat im Juli 2017 seine umfassende dreistufige Vision für den KI-Bereich: die USA bis 2020 einholen, bis 2025 überholen und bis 2030 global führen. Das Dokument enthält eine Reihe von ambitionierten Zielen und zugleich vagen Strategien, wie diese zu erreichen sind. Der Plan soll jedoch primär zeigen, dass die höchste Parteiebene KI priorisiert. Die bereits begonnene industrielle Entwicklung soll so beschleunigt werden.

China sieht KI als Möglichkeit, einen entscheidenden Vorsprung gegenüber Konkurrenten aufzubauen. Damit dies gelingt, wird einerseits die KI-Innovationskapazität innerhalb Chinas mit der Bereitstellung von beachtlichen finanziellen Ressourcen für Forschung und Entwicklung gefördert. Die Ausbildung neuer KI-Talente soll schon an Primarschulen beginnen und an den Hochschulen intensiviert werden. Andererseits sollen Chinas Innovationskapazitäten durch internationale KI-Ressourcen ergänzt werden. Zu «Go Out» gehören hier Risikokapitalinvestitionen, Fusionen mit und Übernahmen von ausländischen KI-Firmen, die Etablierung von Forschungszentren im Ausland sowie internationale Forschungskooperationen (siehe Karte S. 3).

Der Plan sieht die Einführung von KI in diversen Bereichen wie industrieller Fertigung, Gerichtsbarkeit und öffentlicher Sicherheit vor. Eine weitere Komponente des KI-Plans ist die militärische Nutzung der Technologie. Auch wenn die VBA bisher über kein kohärentes KI-Konzept verfügt, wird auf Führungsebene die Dringlichkeit erkannt, KI schnell und umfassend zu adaptieren. Das Potential der Technologie und Chinas Ressourcen böten die Möglichkeit, gegenüber den USA nicht nur aufzuholen, sondern einen militärtechnischen Vorsprung zu schaffen. Konkret könnte KI beispielsweise für die Zusammenführung und Analyse von Daten, die Unterstützung von Entscheidungen auf Führungsebene und die Entwicklung autonomerer Waffensysteme eingesetzt werden.

Kritisch reflektiert werden in dem KI-Plan jedoch auch Chinas Schwachstellen. Beispielsweise ist es bisher nicht gelungen, besonders leistungsfähige KI-Chips zu entwickeln. Diese sind für das Training von KI-Algorithmen durch maschinelles Lernen notwendig. In China besteht ausserdem ein grosser Mangel an KI-Talenten, der sich in den aggressiven Rekrutierungsstrategien chinesischer Unternehmen im In- und Ausland widerspiegelt.

Kein «Papiertiger»

Ein halbes Jahr nach der Vorstellung des KI-Plans wurden bereits erste Umsetzungsschritte unternommen. Das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) veröffentlichte im Dezember 2017 einen detaillierten Aktionsplan mit vier grossen Aufgabenfeldern für die erste Etappe von 2018 – 2020. Erstens werden im Dokument konkrete Ziele für die Produktentwicklung in acht Bereichen formuliert, um erste Durchbrüche zu schaffen. Dazu gehören vernetzte Fahrzeuge, Serviceroboter, Gesichtserkennung und KI-unterstützte medizinische Diagnostik. Zweitens wird beispielsweise durch die Entwicklung bestimmter KI-Chips angestrebt, die Hardware- und Softwarebasis für die KI-Industrie zu verbessern. Drittens wird die Integration von KI in industriellen Sektoren und Fertigungsprozessen forciert. Viertens werden unterstützende Ressourcen, etwa der Zugang zu grossen Datensätzen von Unternehmen für das Training von Algorithmen, gefördert.

Der Inhalt des Handlungsplans überlappt mit weiteren Massnahmen. Bereits im Oktober 2017 hat das Ministerium für Wissenschaft und Technologie 13 «transformative » Technologieprojekte ausgeschrieben, die bevorzugt staatliche Gelder erhalten und bis 2021 realisiert werden sollen. Eines der Projekte ist die Entwicklung von KI-Chips, die explizit leistungsfähiger sein sollen als ein Produkt des US-Chip- Herstellers Nvidia. Einen Monat später wurden Baidu, Alibaba und Tencent sowie das auf Spracherkennung spezialisierte Unternehmen iFlytek zu den ersten Mitgliedern des «Nationalen KI-Teams» ernannt. Ziel des Teams ist es, KI in priorisierten Bereichen wie autonomem Fahren schneller voranzutreiben. Zudem wird eine umfassende KI-Infrastruktur aufgebaut. Im Januar 2018 wurde über den Bau eines neuen gigantischen KI-Campus in Peking berichtet, der Platz für bis zu 400 Unternehmen bieten soll.

International expandieren chinesische KI-Unternehmen weiter. Baidu gab 2017 die Eröffnung seines zweiten Forschungsinstituts im Silicon Valley bekannt, während Tencent ein neues KI-Zentrum in Seattle ankündigte. Bemerkenswert ist auch die Anerkennung von westlichen Unternehmen für Chinas Anstrengungen. Google, das sich mittlerweile als «AI first company» versteht, richtet ein KI-Zentrum in Peking ein, um dort Talente für sich zu gewinnen. Dieser Schritt ist besonders beachtlich, da Googles Kerndienste, wie seine Suchmaschine, seit 2010 in China blockiert sind.

Es ist zudem anzunehmen, dass China durch die frühe Entwicklung von Standards die Infrastruktur der globalen KI-Industrie prägen möchte. Für chinesische Unternehmen hätte das langfristig entscheidende Vorteile. Nicht umsonst besagt ein Sprichwort aus chinesischen Technologiekreisen, dass «drittklassige Firmen Produkte machen, zweitklassige Firmen Technologien entwickeln, erstklassige Firmen Standards setzen». Im Januar 2018 wurde bekannt, dass zurzeit Richtlinien für die Standard-Strategie «China Standard 2035» erarbeitet werden, die KI-relevante Sektoren umfasst.

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Günstige Startbedingungen

Chinas KI-Ambitionen müssen vor dem Hintergrund bestehender Schwächen und bisheriger Hürden in der Technologieinnovation differenziert betrachtet werden. Das Reich der Mitte verfügt aber über verschiedene Ressourcen, welche die Entwicklung und Einführung der Technologie in besonderem Masse begünstigen.

Die Verknüpfung der Regierung mit privaten Unternehmen, welche die Entwicklung von KI anführen, ist ein entscheidender Faktor bei der Umsetzung von Chinas strategischen Zielen. China setzt bei der Entwicklung von KI massgeblich auf «military-civil fusion», eine nationale Strategie seit 2013, welche die Trennung zwischen zivilen und militärischen Wissenschaftsund Technologieressourcen überwinden soll. Die Zusammenführung von Institutionen wie der VBA, privaten Unternehmen und akademischen Institutionen soll die Entwicklung von Dual-Use-Technologien fördern und gleichzeitig die Modernisierung des Militärs und Chinas Wirtschaftswachstum vorantreiben. Dieser Ansatz könnte China einen wichtigen Vorteil gegenüber Staaten wie den USA verschaffen, wo die marktorientierten Portfolios des Privatsektors klarer von den strategischen Interessen der Regierung abgegrenzt sind.

Im Bereich KI werden aussergewöhnlich viele Forschungsergebnisse offen publiziert. Dies ist ein wichtiger Unterschied gegenüber anderen sensitiven Technologien wie dem Nuklearbereich. Die KI-Forschung in China profitiert davon, auf dem Fortschritt von Unternehmen und Forschungsgruppen weltweit aufbauen zu können.

China zählt global die meisten Internet-und Smartphone-Nutzer. Da der Schutz von Nutzerdaten zugleich schwach ist, verfügt das Land über riesige Datensätze. Diese sind für das Training von Algorithmen durch maschinelles Lernen unabdingbar. Auch über den Datenschutz hinaus erleichtern ein schwaches regulatives Umfeld und geringere ethische Bedenken die schnelle Einführung neuer Technologien und machen Chinas Gesellschaft so zu einem riesigen Testlabor für KI-Anwendungen.

Bereits jetzt ist KI in Chinas Gesellschaft, besonders im Bereich der öffentlichen Sicherheit, omnipräsent. Soziale Stabilität und Kontrolle sollen durch die breite Nutzung von Gesichtserkennungssoftware gesteigert werden. Solche Software kommt bereits in Millionen von Überwachungskameras zum Einsatz. Einerseits können diese KI-Anwendungen zum Beispiel durch die schnellere Aufklärung von Straftaten zur Verbesserung der öffentlichen Sicherheit beitragen. Andererseits wird eine wachsende Kontrolle der Bevölkerung ermöglicht und die Privatsphäre weiter eingeschränkt. Die Strategie der chinesischen Regierung, KI und Big Data gezielt für gesellschaftliche Kontrolle und wirtschaftliche Koordinierung zu nutzen, beschreibt der Politologe Sebastian Heilmann als «digitalen Leninismus». Er warnt vor der internationalen Verbreitung eines solchen Modells.

Auswirkungen auf die Schweiz

Die Schweiz ist mit führenden technischen Hochschulen und als Standort für etablierte und aufkommende KI-Unternehmen bestens aufgestellt, die Zukunft im Bereich KI aktiv mitzugestalten. Diese Ressourcen verpflichten die Schweizer Politik jedoch in besonderem Masse, frühzeitig einen Diskurs mit verschiedenen Stakeholdern und Bevölkerungsgruppen über die sichere und ethische Entwicklung von KI anzustoßen. Diese Auseinandersetzung sollte sich in der Ausbildung neuer KI-Talente an Hochschulen sowie den Praktiken von Unternehmen in der Schweiz wiederspiegeln.

Die Globalisierung der Wirtschaft, Bildungslandschaft und Arbeitsmärkte erfordert es ebenfalls zu erwägen, wie die Ausbildung internationaler KI-Talente an Schweizer Hochschulen, ausländische Investitionen in Schweizer Unternehmen und Technologietransfers, zivile und militärische KI-Ressourcen in anderen Länder beeinflussen. Es muss geprüft werden, ob diese Auswirkungen mit den Werten und Interessen der Schweiz kompatibel sind.

Ein neuer Technologiewettlauf?

Die US-Regierung hat auf Chinas KI-Am­bitionen bisher primär reagiert. Sie hat sich darauf konzentriert, Chinas Investitionen in KI-Ressourcen in den USA zu bremsen, anstatt amerikanisches Potential zu fördern und den bestehenden Vorsprung weiter auszubauen. Präsident Barack Obama identifizierte KI als eine der entscheiden­den Herausforderungen für die Nachfolge­regierung. Doch der 2016 veröffentlichte National Artificial Intelligence Research and Development Strategic Plan, der Ähnlich­keiten mit Chinas KI-Plan aufweist, ist be­reits zu Beginn von Präsident Donald Trumps Amtszeit archiviert worden. In der neuen Nationalen Sicherheisstrategie wird KI zwar als Technologie mit strategischer Relevanz für die nationale Sicherheit der USA benannt. Doch es fehlt im Vergleich zu China weiterhin an einer umfassenden Vision, wie die Technologie entwickelt und genutzt werden soll. Aus diesem Grund de­finieren in den USA momentan Technolo­gieunternehmen die Entwicklung von KI.

Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook sind massgeblich für den Vor­sprung der USA im Bereich KI verant­wortlich. Laut der US-China Economic and Security Review Commission führen die USA bezüglich des Volumens verfügbarer Investitionen in KI, der Anzahl von KI-Firmen und Patenten. Amerikanische Un­ternehmen wie Nvidia und Google haben ausserdem den Vorsprung bei der Herstel­lung der leistungsfähigsten KI-Chips er­möglicht. Auch die meisten erfahrenen KI-Talente sind bisher noch in den USA beschäftigt.

Doch der Vorsprung Amerikas schwindet. Dies liegt auch an politischen Entschei­dungen in den USA. Auf Regierungsebene verlieren Wissenschaft und Technologie zunehmend an Bedeutung. Dies erschwert die Entwicklung einer amerikanischen KI-Strategie. Beispielsweise wurde das Office of Science and Technology Policy, welches den Präsidenten hinsichtlich der Auswirkun­gen von Wissenschaft und Technologien beraten soll, auf ein Viertel der Mitarbeiter verkleinert. Zudem stellt die vom Präsi­denten vertretene restriktive Migrations­politik eine zusätzliche Hürde dar, den steigenden Bedarf an KI-Talenten zu de­cken. Dies wird von chinesischen Unter­nehmen bereits als Chance gewertet, die besten Talente für sich zu gewinnen.

Gleichzeitig kämpft das amerikanische Militär mit einem erodierenden militär­technischen Vorsprung. Bereits seit der Third Offset Strategy von 2014 gilt KI als eine Schlüsseltechnologie, um diesen Vor­sprung in Zukunft beizubehalten. Eine ri­sikoaverse Innovationskultur, bürokratiein­tensive Beschaffungsprozesse sowie ein Attraktivitätsmangel für KI-Talente er­schweren es aber, mit der technologischen Entwicklung im zivilen Bereich und den Ambitionen anderer Länder Schritt zu halten. Die zentrale Rolle zivil entwickelter Technologien im militärischen Bereich er­fordert daher eine Restrukturierung bishe­riger Innovations- und Akquirierungspro­zesse. Da eine Verschmelzung von privaten und staatlichen Ressourcen wie in China nicht denkbar ist, sind Initiativen wie die vom früheren Verteidigungsminister Ash­ton Carter geschaffene Defence Innovation Unit Experimental wichtige Modelle zur Gewinnung gewisser zivil entwickelten Technologien für militärische Anwendun­gen.

Zudem wächst in Washington die Besorg­nis über die Gewinnung amerikanischer KI-Ressourcen durch chinesische Akteure und den ungleichen Marktzugang für ame­rikanische Investoren in China. Steigende Investitionen in amerikanische KI-Firmen, die enge Verknüpfung zwischen Privatsek­tor und Staat sowie die Strategie Chinas, zivile KI-Ressourcen auch militärisch zu nutzen, haben zu einem neuen Gesetzes­vorschlag in den USA beigetragen. Auf der Basis nationaler Sicherheitsinteressen sol­len ausländische Investitionen in amerika­nische Unternehmen, die kritische Tech­nologien wie KI entwickeln, in Zukunft stärker kontrolliert werden können.

Das grosse Potenzial von KI, die Führung des Privatsektors in der Technologieent­wicklung und das wachsende staatliche In­teresse an KI öffnen ein neues Spannungs­feld zwischen der nationalen Sicherheit und den freien Märkten. Die Kontrolle na­tionaler KI-Ressourcen wird jedoch durch die Mobilität von KI-Talenten und Kapi­tal, die Veröffentlichung von Forschungs­resultaten und die «ungreifbare» Beschaf­fenheit von KI, bedeutend erschwert. Für viele ausländische Technologiefirmen ist der chinesische Konsummarkt ausserdem ein immer bedeutenderes Ziel.

Langfristig könnte China jedoch nicht nur von seinen eigenen Anstrengungen profi­tieren, sondern auch von einer fehlenden KI-Strategie der USA. Gelingt der Auf­stieg zur «KI-Weltmacht», wird dies die in­ternationale Staatengemeinschaft nachhal­tig prägen. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob China diese Entwicklung kooperativ oder konfrontativ gestalten wird.

Sophie-Charlotte Fischer ist Doktorandin am Center for Security Studies. In ihrer Dissertation befasst sie sich mit der Rolle des Privatsektors in der Entwicklung aufkommender Dual-Use-Tech­nologien, Regulierungsmodellen für militärische KI-Anwendungen und der strategischen Entwicklung von KI in China und den USA.

Herausgeber: Christian Nünlist und Matthias Bieri

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