ETH Arbeitstagung zur Sicherheitspolitik: «Der Umgang mit Dschihadreisenden und ihren Familien nach dem Verlust des IS-Herrschaftsgebiet»

Am Freitag, 31. Januar 2020, veranstaltete das Center for Security Studies (CSS) der ETH Zürich eine ETH Arbeitstagung zur schweizerischen Sicherheitspolitik zum Thema «Der Umgang mit Dschihadreisenden und ihren Familien nach dem Verlust des IS-Herrschaftsgebiet». Nach einer Keynote Speech diskutierten drei Panels, wie gut Staaten auf die Rückkehr von Dschihadreisenden vorbereitet sind, über Sicherheits-, Rechts- und humanitäre Fragen in Zusammenhang mit der Inhaftierung ausländischer Kämpfer und ihren Familien im Nordosten Syriens und dem Irak nach der Rückeroberung von ISIS- Gebieten, sowie über die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Rückführung der Kinder ausländischer Kämpfer in ihre Herkunftsländer.

 

Keynote Speech

Die Eröffnungsrede gab einen Überblick über das Phänomen der Dschihadreisenden seit dem Aufstieg des «Islamischen Staates» (IS). Etwa 6 000 Personen verliessen Europa, um sich dem IS im Irak und Syrien anzuschliessen. Deshalb sollten sich europäische Gesellschaften intensiv mit den Gründen ihrer Ausreise beschäftigen und die Ursachen dafür angehen. Gleichzeitig sollten sie sich der Frage stellen, ob die Dschihadreisenden bei ihrer Rückkehr ins Heimatland eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Diese Frage sollte von Fall zu Fall neu beantwortet werden. Allerdings kann das Motiv für ihre Ausreise ein Indikator für das Risiko sein, welches sie bei ihrer Rückkehr darstellen. Die Mehrzahl derer, die in der Anfangsphase (2011-14) gegangen sind, wollten meist die Sunniten in Syrien unterstützen oder suchten, in ihrer Naivität, das Abenteuer. In den Anfangstagen porträtierte sich der IS als wolle er die ideale islamische Gesellschaft schaffen. Als der IS seine Anhänger vermehrt zu Angriffen in ihren Heimatländern aufforderte, änderte sich dieses Bild langsam.

Die Gründe der Dschihadreisenden in ihr Heimatland zurück zu kehren variieren. Nur selten scheinen Rückkehrer nach ihrer Heimkehr in terroristische Aktivitäten verwickelt zu sein. Meistens nur die, die explizit von IS für Angriffe in ihre Heimatländer zurückgeschickt wurden. Etwa 2 000 – 3 000 Personen aus dem westlichen Kulturkreis verbleiben weiterhin in Syrien (vor allem Frauen und Kinder), wo sie hauptsächlich in verschiedenen, von Kurden kontrollierten Einrichtungen im Nordosten Syriens festgehalten werden. Eine Rücknahme dieser Personen wäre zu begrüssen, aber die öffentliche Meinung in Europa scheint dies abzulehnen. Aber irgendwann müssen sich die Herkunftsländer mit diesen Menschen befassen müssen. Meistens war die Nicht-Integration in die Gesellschaft der Heimatländer ein Grund für die Abreise in den IS, weshalb sich bei der Rückkehr eher die Frage der Integration als der Reintegration in die Gesellschaft stellen. Deshalb werden die Gemeinden bei solchen Initiativen die Führung übernehmen müssen und sollten bereits jetzt Bottom-Up-Konzepte erarbeiten.

 

Panel 1: Der Umgang mit Returned Foreign Fighters

Da bereits eine bedeutende Anzahl an Foreign Fighters in ihre Heimat zurückgekehrt sind und nicht alle, die sich noch im Ausland befinden von einer Rückkehr abgehalten werden können, befasste sich das erste Panel mit den Herausforderungen im Umgang mit Rückkehrern. Der erste Input adressierte die Schwierigkeiten der Strafverfolgung von Foreign Fighters, insbesondere der Sammlung von verwendbaren Beweismitteln. Auch wurden internationale Kooperationen zur Erreichung dieses Ziels diskutiert.

Im zweiten Beitrag wurde über die Erfahrungen Deutschlands mit der Deradikalisierung und Reintegration von deutschen Dschihadreisenden berichtet. Ein Drittel der deutschen Dschihadisten sind bereits nach Deutschland zurückgekehrt. Für deren Deradikalisierung und Reintegration sind vor allem NGOs zuständig, die jeweils fallbezogene Prozesse definieren und sich langfristig verpflichten. Die «Bereitschaft zu Veränderung» der jeweiligen Personen bestimmt die Vorgehensweise, die als am besten geeignet angesehen wird.

Der dritte Referent gab einen Überblick über den Umgang Belgiens mit seinen Dschihadrückkehrern. Die meisten Rückkehrer werden zu drei bis fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Da normale Gerichte die Zahl der Rückkehrer nicht bewältigen können, gibt es alternative Geschworenengerichte, die die Strafen direkt halbieren, weshalb die durchschnittliche Haftstrafe relativ kurz ist. Vermehrt werden auch Rückkehrerinnen zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Verurteilten werden auf verschiedene Gefängnisse in ganz Belgien verteilt, wobei es spezielle Abteilungen für Dschihadis gibt, die andere Personen während ihrer Zeit im Gefängnis für den IS rekrutierten.

 

Panel 2: Die Herausforderungen im Falle einer Nicht-Rückführung (Syrien und Irak)

Während des zweiten Panels lag der Fokus auf sicherheitspolitischen, rechtlichen und humanitären Herausforderungen im Zusammenhang mit der Inhaftierung ausländischer IS-Kämpfer und ihren Familien im Nordosten Syriens und dem Irak. Der erste Beitrag hob Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit der Verwahrung ausländischer Kämpfer in der Region hervor, anstatt sie in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Zu den Sicherheitsrisiken gehören mangelnde Kapazitäten, um Gefangene zu betreuen, was Gefängnisausbrüchen ermöglicht, die Möglichkeit, dass die Gefangenen als Druckmittel gegen westliche Staaten verwendet werden, sowie das Risiko, dass Dschihadreisende in Gefangenschaft weiter radikalisiert werden und ihr Netzwerk ausbauen.

Das zweite Referat befasste sich mit der humanitären Situation in den Lagern im Nordosten Syriens. Der Referent unterstrich, dass die aktuelle Situation durch ein rechtliches ‘schwarzes Loch’ verursacht wurde: der Nordosten Syriens ist kein eigener Staat und die lokalen Behörden werden von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt. Die humanitäre Situation in den Camps Al-Hol, Al-Roj, wo Westler festgehalten werden, und Ain Issa (im Oktober 2019 geräumt) wurde als katastrophal beschrieben. Es wurde auch auf Rechtsfragen im Irak, einschliesslich der Abwesenheit von Berufungsverfahren, eingegangen.

Der dritte Beitrag deckte die rechtlichen Herausforderungen bei Nichtrückführung von Foreign Fighters aus Syrien und dem Irak ab. Hervorgehoben wurde noch einmal die Schwierigkeiten der Beweismittelsammlung zur rechtlichen Verfolgung von Dschihadisten, sowie das Dilemma, ob sie für terroristische oder Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden, und die Möglichkeit Dschihadisten vor Ort (z.B. vor dem IStGH oder einem speziellen Tribunal) vor Gericht zu stellen.

 

Panel 3: Die Herausforderungen bei einer Rückführung: Fokus auf Minderjährigen

Das dritte Panel thematisierte im Speziellen die Herausforderungen rund um die Rücknahme von Minderjährigen, die von einem Vormund in den IS gebracht oder dort geboren wurden, durch ihre Heimatländer. Das erste Referat gab einen groben Überblick über die Thematik. Kinder stellen eine heterogene Gruppe dar: der Grad der Indoktrinierung und der Umfang und die Art der erlebten Traumata variiert. Bei seiner Rücknahme benötigt jedes Kind individuelle und auf seinen Fall zugeschnittene Unterstützung.

Der nächste Sprecher berichtete über die Erfahrungen Frankreichs bei der Rücknahme von Minderjährigen. Mit der Zeit änderte sich die ursprüngliche Haltung keine Kinder zurückzunehmen und Frankreich hat in der zwischen Zeit etwa 95 Kinder zurückgeholt, weitere 300 verbleiben weiterhin in den Lagern in Syrien und dem Irak. Meistens werden die re-integrierten Kinder in Schulen untergebracht, ohne dass die Lehrer über die Geschichte des Kindes informiert sind, obwohl die meisten Kinder an dieser oder jener Form von Trauma leiden.

Im letzten Beitrag wurden die Erfahrungen vorgestellt, die Bosnien und Herzegowina bei der Rücknahme von Individuen, vor allem von Frauen und Kindern, machte. Der Referent wies darauf hin, dass Personen, die früh aus dem IS zurückkehrten meist desillusioniert waren, wohingegen heutige Rückkehrer stärker indoktriniert sind und deshalb ein grösseres Risiko darstellen. Einer der wichtigsten Punkte, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, ist der respektvolle Umgang mit den Frauen und Kindern sobald sie heimatlichen Boden betreten. Dieses Vertrauensverhältnis ist einer der Grundsteine für eine erfolgreiche Rehabilitation und (Re)Integration. Letztendlich sind auf jeden Einzelfall zugeschnittene Ansätze unabdingbar.

externe SeiteInterview mit Richard Barrett im "Echo der Zeit"

 

Weiterführende Literatur:

Richard Barrett, Beyond the Caliphate, The Soufan Center, October 2017, externe Seitehttp://thesoufancenter.org/wp-content/uploads/2017/11/Beyond-the-Caliphate-Foreign-Fighters-and-the-Threat-of-Returnees-TSC-Report-October-2017-v3.pdf

Rik Coolsaet and Thomas Renard, “Foreign Fighters and the Terrorist Threat in Belgium”, Egmont Institute Commentary, January 2020, externe Seitehttp://www.egmontinstitute.be/foreign-fighters-and-the-terrorist-threat-in-belgium/

Nadim Houry, “Bringing ISIS to Justice: Running Out of Time?” Human Rights Watch, February 2019, https://www.justsecurity.org/62483/bringing-isis-justice-running-time/

Tanya Mehra, Christophe Paulussen, “The Repatriation of Foreign Fighters and Their Families: Options, Obligations, Morality and Long-Term Thinking,” ICCT, 6 May 2019, externe Seitehttps://icct.nl/publication/the-repatriation-of-foreign-fighters-and-their-families-options-obligations-morality-and-long-term-thinking/

Anthony Dworkin, “A tribunal for ISIS fighters?” ECFR, May 2019, externe Seitehttps://www.ecfr.eu/article/commentary_a_tribunal_for_isis_fighters

Fabien Merz, No. 199: Switzerland and Jihadist Foreign Fighters, CSS Analyses in Security Policy, No. 199, November 2016, https://css.ethz.ch/content/dam/ethz/special-interest/gess/cis/center-for-securities-studies/pdfs/CSSAnalyse199-EN.pdf

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